Reporting
Generation furchtlos
Im Ostkongo ist es sicherer, ein Soldat zu sein, als eine Frau, hieß es noch vor einigen Jahren. Doch nicht nur im globalen Norden, auch auf dem afrikanischen Kontinent gibt es neue Frauenbewegungen, die ihren Despoten Kontra geben. Sogar im größten Pulverfass Afrikas. Mittlerweile tritt eine Generation junger Feministinnen lautstark für ihre Rechte ein – und muss deswegen um ihr Leben fürchten. Jocelyne, Rebecca und Adolphine aus Goma, in Nord-Kivu, riskieren ihr Ansehen und manchmal ihr Leben.
15 Menschen wussten, wo Rebecca Kavugho in der Nacht zum 16. Februar war. Rebecca hält inne, als gehe sie im Kopf noch einmal die Gesichter durch. Genau 15. Kurz nach vier Uhr morgens, sie malten gerade ein Transparent, kletterte die Polizei über die Mauer des Anwesens. „Die haben mich verhaftet, geschlagen und gedroht, mich in den Kivusee zu werfen.” Erst ein halbes Jahr später ist Rebecca wieder in Freiheit. Wer sie verraten hat, weiß sie bis heute nicht.
Rebecca ist 22 Jahre alt. Sie steht als einzige Frau an vorderster Front der kongolesischen Jugendbewegung Lucha. Lucha steht für „Lutte pour le Changement”, Kampf für die Veränderung. „Wir wollen einen gewaltfreien Weg zur Demokratie”, sagt Rebecca. Die Lucha-Bewegung ist gerade im Osten des Kongos erfolgreich.
Nachts: Geheimdienstbesuch
Der Ostkongo war in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Schauplatz blutiger Bürgerkriege. Dabei gerieten in der Vergangenheit vor allem Frauen als Zivilistinnen zwischen die Fronten. Die Auseinandersetzungen in Ostafrika waren Anlass für die Vereinten Nationen, Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe zu ächten, und noch immer ist die weltweit größte UN-Mission im Ostkongo stationiert. Heute sind vor allem die Kasai-Region im Zentralkongo und Beni im Norden des Landes hart umkämpft und Schauplätze schwerer Menschenrechtsverletzungen. Laut Ärzte ohne Grenzen sind im August mehr als 1,4 Millionen Menschen allein aus der Kasai-Region auf der Flucht.
Präsident Joseph Kabila ist derweil selbst zum Streitpunkt geworden: Er hätte im vergangenen Dezember aus dem Amt scheiden und Neuwahlen ausrufen sollen. Auch im Ostkongo zündeln Milizen und Rebellengruppen am fragilen Gleichgewicht. Der Erfolg der Bewegung Lucha ist Ausdruck des Unmuts junger Kongolesen über die Regierungspolitik. „Wir haben keine Arbeit und nicht mal sauberes Wasser”, sagt Rebecca.
Ihr großer Bruder nimmt Rebecca mit zu den ersten Lucha-Treffen. Sie hilft bei Unterschriftensammlungen und ist beeindruckt. „Die wollten wirklich etwas bewegen.” Rebecca steigt in der Organisation auf, überflügelt den Bruder. Ihre Familie ist misstrauisch. „Es hieß: Rebecca, du bist verrückt geworden. Du bist wie ein Mann.” Obwohl der Präsident sie nicht offen anfeindet, sind die Mitglieder der Lucha-Bewegung Ärger mit der Regierung gewöhnt. Manchmal, so Rebecca, klopfen Mitarbeiter des Geheimdienstes an die Türen ihrer Elternhäuser und fragen nach ihnen. Dass ihr Kampf auch im Gefängnis enden könnte, wusste Rebecca immer.
Als Freiwillige für eine Sitzdemonstration gesucht werden, meldet sie sich trotzdem. Als einzige Frau. Als die Polizei sie in der Nacht im Februar festnimmt, wird Rebecca vor ein Militärgericht gestellt: Für Anstachelung zum Aufstand drohen zehn Jahre Haft. Rebecca wird zu zwei Jahren verurteilt und nach Muzenze, das zentrale Gefängnis von Goma, gebracht. Es gilt als eines der härtesten auf dem gesamten Kontinent. Nach sechs Monaten mit fünf anderen Frauen in einer Gemeinschaftszelle kommt sie frei.
Von da an ist alles anders. Rebecca gibt morgens vor dem Psychologiestudium Presseinterviews. Sie wird Ende März dieses Jahres in die USA eingeladen, wo Melania Trump ihr einen „Preis für mutige Frauen” überreicht. Ist sie stolz, ihrer Regierung so ein Dorn im Auge zu sein? „Ich denke eigentlich nicht viel über den Präsidenten nach. Ich will etwas für die Menschen hier tun.”
Wenn die 27-jährige Adolphine Katungu am Samstagmorgen mal wieder zu spät zur Bank kommt, muss sie eine Runde Joghurt und frittierte Fettbällchen für alle ausgeben. „Ich sage dann: Ich habe nun mal nicht viel Zeit, ich arbeite doch immer. Aber die Frauen sagen: Die Regeln gelten auch für dich, Adolphine.” In gespielter Unschuld hebt Adolphine die Hände gen Himmel. Dann grinst sie. Spendiert sie eben eine Runde Snacks. Schließlich ist Solidarität das Prinzip, auf dem die Bank beruht. Adolphine ist eine der Organisatorinnen informeller Frauenbanken, sogenannter AVECs, Association Villageoise d’Épargne et de Crédit. Frauen jeden Alters, von der Bananenhändlerin bis zur Anwältin, kommen zusammen und sparen gemeinsam Geld. Jeden Samstagmorgen treffen sie sich, um das Geld zu verwalten. Dann wird diskutiert: Wer braucht Geld für eine Hochzeit? Wer muss neue Körbe kaufen?
Solidarität als Bankprinzip
Etwa 25 Frauen gehören zu Adolphines Spargruppe. Die Frauen können nach eigenem Ermessen Geld zur Seite legen. Unabhängig vom Einkommen zahlt jede auch einen wöchentlichen Betrag in die Gemeinschaftskasse. 1.000 kongolesische Franc pro Werktag, das entspricht etwa 2,50 Euro pro Woche und ist viel Geld für die Straßenhändlerinnen, die Früchte und Gebäck aus großen Körben, die sie auf ihren Köpfen tragen, verkaufen.
Trotzdem sprießen mehr und mehr AVECs aus dem Großstadtboden. „Es geht um finanzielle Unabhängigkeit und natürlich um Unabhängigkeit von den Männern”, sagt Adolphine. Sie selbst hat die Geschichte ihrer Schwester verfolgt. Solange deren Mann die Haushaltskasse verwaltet habe, sei nie genug Geld für Essen da gewesen. Anfang des Jahres nahm Adolphine die Schwester mit zur AVEC und von da an jeden Samstag. „Es hilft den Frauen, über Ausgaben nachzudenken und das Geld vernünftig auszugeben.” Dazu kommt das Risiko: Geld zu Hause zu sparen zieht Diebe an. Und im Falle eines Feuers ist alles weg.
Die AVEC funktioniert nach festen Regeln. Es gibt eine Frau, die Schatzmeisterin ist, eine andere hat den Schlüssel zum Safe. Eine ist Präsidentin und eine ihre Stellvertreterin, zählt Adolphine auf. Wer heiratet, bekommt einen Festbetrag von 20.000 Franc. Das hält die Frauen nicht davon ab, die Frischgetraute mit noch mehr Geld, Schmuck und Essen zu beschenken. Ist jemand krank oder bekommt ein Baby, wird gemeinsam diskutiert, was der Frau als Unterstützung geliehen werden kann. Sind die praktischen Fragen geklärt und die Kuchen aufgegessen, beginnt der Teil des Treffens, auf den Adolphine besonders stolz ist. Die Frauen diskutieren über Politik. Was kann gegen Gewalt gegen Frauen getan werden? Was gegen Armut? Vor ein paar Wochen hat Adolphine mit den Frauen die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates diskutiert. Adolphine überlegt, ob sie eine der Regeln vergessen hat. Ach ja, sagt sie, und lacht. „Wer statt um 7.30 erst um 8 auftaucht, muss zahlen. Keine Ausnahmen.”
Jocelyne Sacerdoce, 29, hat ein gezeichnetes Gesicht. Aus ihren Sätzen dagegen spricht druckreifer Optimismus. Vielleicht liegt das daran, dass Jocelyne mitgezählt hat, wie viele Menschenschicksale sie schon zum Besseren beeinflusst hat. Dreihundert sind es. Dreihundert Mädchen und Frauen, die meisten Überlebende sexueller Gewalt, seit 2012, sagt Jocelyne.
Sie sagt auch: Jede Stunde werden in der Provinz Nord-Kivu 28 Frauen vergewaltigt. Seit dem brutalen Bürgerkrieg sind in Nord-Kivu alle internationalen NGOs stationiert. Sie organisieren eines der weltweit dichtesten Netze an Anti-Vergewaltigungs-Projekten. „Aber im Alltag der Frauen in den letzten zehn Jahren hat sich nicht so viel verändert”, sagt Jocelyne. Ein großes Problem seien zum Beispiel obdachlose Kinder. „Viele NGOs denken, die Kinder müssten bloß zurück in die Familien gebracht werden. Dabei gehen von dort oft die Probleme aus”, sagt Jocelyne. Sie war selbst lange obdachlos. „Ich wurde über mehrere Jahre von meinem Cousin und seinen Freunden vergewaltigt.” Sie schwieg, bis die Mutter bei einem Arztbesuch erfuhr, was passiert war und der Vater sie auf die Straße schickte. Dann hört Jocelyne im Radio und Fernsehen immer öfter die Geschichten anderer Überlebender. „Ich habe verstanden, dass Heilung möglich ist.”
Jocelyne erzählt einer Nachbarin von ihrer Idee, eine Mädchengruppe zu gründen. Am Sonntag darauf treffen sie sich zum ersten Mal, nachmittags, nach der Kirche. Erst sind sie nur zu fünft, aber Sonntag für Sonntag wird es voller bei ihr zu Hause. „Dabei hatten wir nicht einmal Geld für Essen auf den Treffen.” Die Mädchen sprechen über Politik und teilen persönliche Probleme. „Heute kommen manchmal hundert Frauen. Ich habe ein großes Wohnzimmer”, sagt Jocelyne und lächelt.
Der Erfolg gibt ihr Mut. Sie bekommt einen Preis für ihre Arbeit und gründet die erste anonyme Selbsthilfegruppe für Überlebende sexueller Gewalt im Ostkongo.Doch die neue Öffentlichkeit wird schnell zum Problem. Sie bekommt Drohungen. Eines Tages wird ihre beste Freundin entführt. Sie bekommt eine SMS: „Du bist doch Frauenrechtlerin, hilf deiner Freundin!”, mit einem Foto des gefesselten Mädchens. „Ich hab das meiner Mutter gezeigt. Die meinte: Jocelyne, wenn du leben willst, renn.” Jocelyne packt ihre Taschen und flieht über die Grenze nach Ruanda. „Dann dachte ich: Sollen die mich doch kriegen. Es gibt andere, die meine Arbeit weiterführen.” Sie kehrt zurück und auch die Freundin wird bald freigelassen.
Eine Woche ist das her. Aber Jocelyne hat keine Zeit, sich zu sorgen. Sie schreibt am Antrag für ein neues Projekt: eine Herberge für obdachlose Kinder. Mittlerweile bitten internationale Organisationen Jocelyne darum, ihre Hilfsprojekte zu evaluieren. „Wenn ich dabei Geld verdiene, kaufe ich fast nie Schuhe oder Kleidung. Irgendjemand braucht immer etwas zu essen, oder eines meiner Mädchen muss Schulgebühren bezahlen. Weißt du, wenn du jemandem die Chance gibst, sein Leben zu verändern, verändert er vielleicht mal die Welt.”
Die Recherche wurde unterstützt durch die International Women’s Media Foundation